Classic

Neulich an der Tankstelle

Tankstellen sind heutzutage ja nicht mehr einfach nur Orte, wo man kräftigen Kraftstoff, schmutziges Scheibenputzwasser mit Käfergeschmack, die Mutter aller Kloschlüsselanhänger und (noch) kostenlose Druckluft findet. Heute ist eine Tankstelle auch ein Kleinwarenladen, eine Cafeteria und eine Eisdiele, alles in der billigen Ausführung, aber dafür mit den Preisschildern eines Feinkostladens in Genf. Und, vor allem ist eine Tankstelle auch ein Treffpunkt, ein Ort wo man sich gerne verabredet, um danach weiterzuziehen.

Veröffentlicht am 26.02.2023

Neulich...

hatten wir im Rahmen eines mobilen Shootings mit einem 66er Dodge Coronet an einer Tankstelle gehalten. Hauptsächlich mag ich Tankstellen am Abend wegen der Flutlichtbeleuchtung in der Stärke von zwei Sonnen und einem schnelloxidierenden Ford Pinto, das spart Belichtungszeit und ISOs. Aber eigentlich stehe ich auch gerne mal etwas abseits des Geschehens und beobachte, was die Leute an diesen Orten so treiben. Auch an diesem Abend, an dem wir etwas Zeit rund um die stützenden Säulen des zeitgenössischen Strassenverkehrs verbracht haben, habe ich mit einem Auge durch die Kamera gelinst, mit dem anderen habe ich nebenher das muntere Treiben an der Futtertränke für Verbrennungsmotoren beobachtet.

Der Tanker

Da kam er mit seinem tiefschwarzen Dodge W200. Zügig an die Zapfsäule Nummer vier, mit Schwung aus der schwarzen Fahrerkabine raus, schnappt sich im Vorbeigehen den grünen Zapfhahn, rammt ihn in den bereits offenen Tankstutzen und lässt die Technik sein Arbeitsgerät mit 95er Bleifrei befüllen. Das laute Klack der Zapfpistole ist für ihn das Signal, alles wieder in den Zustand zu versetzen, welcher bei seiner Ankunft geherrscht hat und ist das erledigt, marschiert er entschlossen in den Shop hinein, bezahlt seine Säule, verputzt auf dem Weg zurück zum Auto noch schnell ein XXL-Snickers und ballert wieder von dannen. Gefühlt hat dieser ganze Vorgang keine Minute gedauert und hatte die Präzision und Eleganz eines Angehörigen von irgendeiner ominösen Spezialeinheit. Die Ladefläche des Dodge war abgedeckt, den Umrissen nach zu urteilen lag da ein toter Hirsch drunter. Oder eine alte Fernsehantenne und ein riesiger Sack voll Stroh. Man weiss es nicht.

Zombieapokalypse? Ready. 

 

Der Energydrinkjunkie

Er kommt im AMG, akustisch dumpf untermalt von David Guettas neuestem Meisterwerk "Boom Boom London Tokyo - The Bangkok Barcelona Mix". Stylisch ist der junge Herr ja schon, mit viel zu grossem Trägershirt, noch grösseren Hosen und quietschgelbem Yolo-Käppi. Und das bei ca. acht Grad Celsius, Respekt! Aber den Auftritt an sich muss er noch anscheinend etwas üben. Sein sowieso viel zu langes Schlüsselband verbleibt beim Aussteigen zu einem kleinen Teil noch im Inneren seines Stuttgarters und die zugeschlagene Tür verhindert vollends, dass er schlurfenden Schrittes zum Shop marschiert. Ich werde Zeuge der Geburtsstunde eines neuen, coolen Dancemoves. Ein Schritt nach vorne, halbe Drehung nach rechts mit gestrecktem rechtem Arm und anschliessende Umarmung der Dachkante. Alles mit einem strammgezogenen Schlüsselband, aber so ganz ohne musikalische Untermalung sieht das dann doch etwas ungewollt aus. Tür nochmal auf, Schlüsselband raus, Tür zu, lässig zum Shop schlendern.

Der restliche Ablauf seines ursprünglichen Vorhabens scheint grösstenteils aber nach seinem persönlichen Plan zu verlaufen, nach seiner Rückkehr aus dem Shop hält er in der einen Hand seinen Geldbeutel, zwei Tüten Chips, seine Schlüssel und in der anderen Hand sein Smartphone. Zwei schwarz/neongrüne Dosen stecken hinten in seinen Hostentaschen und nur knapp kann er verhindern, dass er seine Hose unterwegs zusammen mit seiner Stylegangsterehre verliert, aber er und auch seine Hose schaffen es zurück in den schnieken Innenraum des SL's. David Guetta bummst weiter, er fährt lautstark davon. AMG's sind vor allem mit V8, definitiv ein Ohrwurm, wenn auch ohne offizielle Chartplatzierung. 

Diesen AMG gibt es übrigens in der nächsten Ausgabe der auto illustrierte. Auch im E-Paper!

Die Tankerin

Sie kommt im Opel Adam in der Farbkombo Limettengrün/Eierschalenweiss. Vorsichtig und mit hochgestrecktem Kopf manövriert sie zur Tanksäule Nummer eins und verbleibt erstmal noch ein paar Minuten im Auto, wo sie anscheinend noch schnell eine dreiteilige Buchserie auf ihrem Smartphone schreibt, korrekturliest und auf Amazon veröffentlicht. Irgendwann steigt auch sie aus und scheint wirklich sehr davon überrascht, dass der Tankstutzen an ihrem Adam auf der falschen Seite montiert wurde. Um ganz sicher zu gehen, kuckt sie nochmal nach, ob nicht doch noch ein zweiter Tankstutzen auf der anderen Seite montiert ist. Aber nein, der Adam ist halt kein alter Jaguar XJ.

In ihrem Gesicht spiegeln sich neben der schieren Verzweiflung auch noch ein paar Gedanken; umdrehen, den Zapfschlauch auf maximale Länge ziehen und dabei mit dem strammen Schlauch den Heckscheibenwischer deformieren oder ihrem fragenden Blick aufs Smartphone nach zu urteilen, per Facebook eine Umfrage dazu starten? Sie entschliesst sich doch zu der Umkehraktion und fährt unter mehrfacher Lenkkorrektur einmal um die Säule rum und platziert sich an der Zwei. Der Tankstutzen ist allerdings auch da immer noch auf der falschen Seite. Doof. Es scheint alles nix zu helfen, sie entschliesst sich dann doch dazu, den Zapfhahn mit roher Gewalt und unter vollem Körpereinsatz aus seiner Säule zu ziehen, aus der Ferne sieht das aus, als würde sie einen gehirnamputierten Esel aus seinem warmen Stall zerren wollen. Ich warte nur darauf, dass der Schlauch zurückschnappt und die zierliche Dame mit ungefähr 25 km/h zurück gegen die Zapfsäule knallt. Doch, zu meiner Überraschung und auch milden Enttäuschung, sie schafft es, die Pistole mehr oder weniger schief in den Stutzen reinzuwürgen und den Betankungsvorgang zu starten. Nicht ohne die halbe Seitenwand des Adam noch kurz mit 95er Bleifrei zu abzuduschen, aber immerhin, das meiste von dem Zeug geht in den Opel rein, während der Heckscheibenwischer ab sofort einem ziemlich tristen Leben auf der limettengrünen Heckklappe entgegenblickt. Während des Tankens stellt sich die Dame etwas abseits und schreibt ihren nächsten Roman;" Haben wir noch Cannelloni zu Hause?"

Irgendwann ist auch ihr Adam voll und sie marschiert entschlossen zur Kasse, kommt nochmal zurück, hängt die Zapfpistole richtig in die Säule rein, geht wieder in den Shop, kommt nochmal zurück, schnappt sich den Geldbeutel aus dem Auto, stapft noch etwas schneller als vorhin zurück zur Kasse wo andere Leute in der Schlange stehen und die Kassiererin sich hörbar im Augenverdrehen übt. Sie braucht aber noch schockgefrostete Cannelloni und zwischenzeitlich kommt dann auch...

Die Mopedgang

Sie kündigen sich schon an, lange bevor man sie eigentlich sieht. Plusminus 30 Biker, wovon zehn akuten Treibstoffmangel aufweisen und die eine alte rote Honda Bol d’Or aus Spritspargründen auch nur noch auf drei statt vier Zylindern vor sich hinröchelt. Wie die Heuschrecken fallen sie über die Tanke her, wovon sich eben jene zehn Benzinbedürftigen an die restlichen drei freien Zapfsäulen drängeln und die anderen 20 ihre Mopeds brav auf den Parkplätzen vor dem Shop parken. Ausser der Typ mit der chromblitzenden Harley, der kriegt seinen Ständer nicht rechtzeitig raus, was darin resultiert, dass sein Eisenschwein unter einem wirklich nicht so schönen Geräusch in die stabile Seitenlage geht, das eine oder andere Bikerkollegenschwein bricht dabei in schallendes Gelächter aus. Vier Mann reichen dann auch, um das Gerät wieder aufzurichten. Danach folgt erstmal fachmännische Schadensbeurteilung, eine Fussraste, der Kupplungshebel und ein Blinker sind die blutigen Opfer dieses Malheurs. Aber, die Harley ist noch fahrtüchtig, abgesehen davon, dass das Kuppeln ab sofort kein Spass mehr macht und nächsten Tage das Halten eines Dosenbiers definitiv nur noch mit Rechts zu bewerkstelligen ist.

Unterdessen ist die Besitzerin des Limettenopels wieder aus dem Shop raus und stellt mit Schrecken fest, dass zwei Yamahas und eine BMW vor ihrem Auto stehen, während die BMW ihren Durst stillt und drei Typen in Volllederausstattung auf Niederländisch den lokalen Benzinpreis diskutieren; "de geest kost hier maar ook niet een beetje!" Natürlich könnte sie auch rückwärts aus der Tankstelle rausfahren, aber da steht schon ein VW Sharan voll mit Mama, Papa und den Aufklebern am Heck nach zu urteilen, Jessica, Liam und Abraham auf dem Rücksitz. Papa sieht etwas genervt aus. Unsere Schriftstellerin in spe setzt sich unter den wertschätzenden Blicken der Biker in Ihren Adam und fängt mit dem nächsten Roman an;" Jennifer und starken Männer". Dass sie dabei die Säule Nummer Zwei immer noch blockiert scheint sie nicht die Bohne zu interessieren. Papas Kopf im Sharan nimmt unterdessen die Farbe eines Feuerwehrautos an. Abraham findet das klasse.

Schalldämpfer gegen zu laut klingelnde Handys. 

Die Herren mit den Mopeds haben ihre Tanks auch wieder voll und ziehen ihres Weges und auch die Dame mit dem Adam fährt wieder vom Hof. Auf dem Parkplatz liegen noch eine Menge abgebrannter Kippen, ein Schal, eine speckige Bauchtasche und eine abgebrochene Fussraste. Und aus dem Shop kommt gerade noch eine blonde Dame in Leder mit einem Sixpack Corona, welche sich wundert, wo denn alle hin sind. Ihr fragender Blick wird irgendwann abgelöst mit jenem Gesichtsausdruck der Erkenntnis, dass man sie wohl vergessen hat. Sie zückt ihr Mobiltelefon und versucht wutschnaubend jemanden anzurufen, der vermutlich sein Handy nicht hört, weil seine MV Agusta F4 seit letzter Woche eine strömungsoptimierte Abgasanlage besitzt. Und plötzlich auch viel handlicher zu fahren ist. 

Der Shopper

Er braucht noch ein paar Kleinigkeiten bzw. erledigt gleich den Wochenendeinkauf an einem Mittwoch. Der Herr parkt seinen Octavia direkt vor dem Eingang und stürmt sichtlich gestresst in den Shop rein. Dort schnappt er sich einen Einkaufskorb und fängt an, durch die Gänge zu wuseln. Ein paar Minuten später holt er einen zweiten Einkaufskorb und fängt auch diesen an zu füllen, mit Eiern von glücklichen Hühnern, Brot, Karotten, Milch, Gummibärchen, Schokolade, Frischkäse, eine Tiefkühlpizza und ich glaube auch zu sehen, dass er zwei Tuben Mayo in den Korb reinpackt. Im ersten Korb hat's irgendeinen Käse und eine Flasche Chateau Migraine. Wobei, ich meine aus der Ferne zu sehen, dass er beim Bezahlen Tränen in den Augen hat. Ich vermute deswegen, weil sein Einkauf gleichviel kostet, wie eine Zweizimmerwohnung in Zürich.

Er lässt sich alles in dünne Plastiktüten packen, zahlt mit Karte und stürmt wieder aus dem Shop. Tjaaaa, und dabei lernt er eine Lektion, Mayonnaisetuben sollte man nicht mit Gewalt in diese filigranen Plastiktüten stopfen, sie neigen dann jeweils dort zu reissen, wo die Unterseite der Tube schon beste Vorarbeit geleistet hat. Und das tun sie meistens dann, wenn man den ganzen Kram gerade mit Schwung ins Auto reinpacken will. So verteilt sich zumindest ein Teil seines Einkaufes auf dem Rücksitz, inklusive den Eiern, wovon zwei aus der Schachtel kullern und an den unverkleideten Sitzschienen ihren angestammten Aggregatszustand per sofort aufgeben. Sein Gesichtsausdruck spricht Bände und er tut seiner Wut damit ein Ventil auf, indem er die Tür seines Skodas dermassen zuballert, dass ich mich wundere, dass das Glasschiebedach nicht noch etwas höher aus dem Dach gehüpft ist.

Zwischenzeitlich ist einer der Biker zurückgekehrt um seine holde Beifahrerin doch noch mitzunehmen. Ich verstehe zwar kein niederländisch, aber sie klang nicht sehr erfreut über sein lautstarkes Auftauchen. Vermutlich wird der Typ mit der schwarzen F4 heute Abend auch ein eigenes Zimmer und ein eigenes Bett haben. Ich würd's ihm empfehlen, wenn er nicht im Schlaf erstickt werden will.

Eigentlich schade...

aber wir müssen weiter. Damit verlassen wir diese rastliche Stätte wieder und rollen jener Sonne entgegen, welche wir vor lauter Labern verpasst haben. 

Text und Bilder: Markus Kunz

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